Die politischen Börsen bekommen längere Beine

„Politische Börsen haben kurze Beine“ – Gilt diese alte Börsenweisheit auch jetzt, oder erleben wir tiefergreifende fundamentale Veränderungen?

Börsen reagieren mitunter sehr heftig auf politische Ereignisse. Seien es überraschend ausgefallene Wahlergebnisse, lokal begrenzte kriegerische Auseinandersetzungen oder furchtbare islamistische Terroranschläge – die Börsen haben in der Vergangenheit oft sehr heftig auf politische Schocks reagiert. Doch oft kehrten die Märkte sehr schnell zur Normalität zurück und orientierten sich wieder an langfristigen Fundamentaldaten. Daher ist der Satz „Politische Börsen haben kurze Beine“ zu einem Klassiker der Börsenweisheiten geworden.

Kann man sich also trotz des furchtbaren Krieges in der Ukraine und der daraus resultierenden politischen Veränderungen darauf verlassen, dass die Verwerfungen an den Kapitalmärkten auch diesmal nur kurzfristiger Natur sind? Die Börsen haben ihre Antwort auf diese Frage bereits gegeben. So notiert der deutsche Leitindex DAX zwar noch ein gutes Stück unterhalb seines Allzeithochs, hat aber seit seinem Tief Ende September 2022 um über 25% zugelegt.

Kehren wir damit zur Normalität und zur üblichen Tagesordnung zurück? Ich bin da etwas zurückhaltend, denn die Bestätigung der alten Börsenweisheit der „kurzen Beine“ sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir eine nachhaltige Veränderung der fundamentalen Basis unserer Wirtschaft erleben. Das bisherige erfolgreiche deutsche Wirtschaftsmodell billige Energie aus Russland und äußere Sicherheit, ohne größere eigene Anstrengungen von den USA zu beziehen, muss wohl als gescheitert bezeichnet werden. Richtigerweise werden Lieferketten und Abhängigkeiten z.B. von China kritisch hinterfragt und der Begriff von der „Deglobalisierung“ geistert durch die Gazetten. Hinzu kommt der von der Politik angestrebte Umbau der Wirtschaft unter dem Aspekt der Klimaneutralität, der immense fundamentale Implikationen mit sich bringen wird.

Natürlich soll und muss die Politik die Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Politik setzen. Doch sollte sich der Staat – trotz der gerade bei uns sehr verbreiteten Staatsgläubigkeit – nicht selbst überschätzen. Corona-Hilfspakete, Gas- und Strompreisbremsen und vieles mehr werden über sogenannte Sondervermögen auf Pump finanziert und sorgen in Summe für eine bedenklich steigende Staatsquote von deutlich über 50 %. Der Beamtenapparat wird trotz aller Beteuerungen der Politik zum Abbau der mitunter wahnwitzigen Bürokratie munter ausgebaut und lähmt zunehmend die wirtschaftliche Aktivität.

Und zu guter Letzt stellt sich auch die europäische Zentralbank, die zur Sicherung der Stabilität unseres Geldes ihre Unabhängigkeit wahren sollte unter das Primat der Politik und beabsichtigt künftig mit ihren Maßnahmen die grüne Transformation der Wirtschaft in den Blick zu nehmen.

Selbstverständlich sollte der Dekarbonisierung unserer Wirtschaft ein hoher Stellenwert eingeräumt werden. Doch nicht immer heiligt das Ziel die gewählten Mittel.

War die Politik bisher eher eine oft nur kurzfristige Einflussgröße an den Märkten, sollten wir die fundamentalen Veränderungen, die wir derzeit erleben vermehrt in den Fokus nehmen. Vergessen wir bitte nicht, dass eine zu hohe Staatsquote Innovationen langfristig behindert und allzu oft lediglich den bequemen „Status Quo“ zementiert, mithin also wirtschaftliches Wachstum verhindert.

Zudem wird die Verringerung unserer wirtschaftlichen Abhängigkeiten insbesondere von China, die ich für absolut richtig erachte, viele Firmen vor große Herausforderungen stellen.

Die Beine der Politik an der Börse werden eher länger – das ist kurzfristig mit Blick auf die diversen Rettungspakete richtig und sorgt an der Börse für eine deutliche Entspannung. Langfristig verheißt das aber nicht nur Gutes.