Die Rückkehr der Zinsen

Wer derzeit vor dem Erwerb einer Immobilie steht wird es bedauern: 10-Jahreshypotheken, die vor wenigen Monaten noch für unter 1 % zu haben waren, kosten aktuell über 2 %. Das wird in Anbetracht der hohen Immobilienpreise und stetig steigender Baukosten manchen Traum vom Eigenheim platzen lassen.

Inflationsraten von über 7 % in Europa und deutlich über 8 % in den USA setzen die Notenbanken unter enormen Druck ihre bisherige Null- und Minuszinspolitik zügig zu beenden. Weltweit steigen daher die Leitzinsen und die Diskussionen über das angemessene Tempo dieser Zinserhöhungen wird nahezu täglich schärfer. Lediglich China, dass die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der scheiternden „Null-Covid-Politik“ immer mehr zu spüren bekommt, ist eher in Richtung einer lockereren Geldpolitik unterwegs.

Unter enormen Druck ihre ultralockere Geldpolitik an die veränderten Rahmenbedingungen endlich anzupassen ist auch die europäische Zentralbank geraten. Aber zu mehr als einem sukzessiven Zurückfahren der Anleihekäufe hat man sich seitens der EZB noch nicht durchringen können. Noch immer gibt es „Strafzinsen“ auf Bankeinlagen und die schwindende Hoffnung, die hohen Inflationsraten mögen sich als temporär erweisen.

Die Kapitalmärkte jedoch haben sich an die neue Realität zügig angepasst. Deutsche Bundesanleihen mit 10- jähriger Laufzeit, die vor wenigen Wochen noch eine negative Rendite aufwiesen, rentieren mit derzeit knapp 1 %, auf einem 7-Jahres-Hoch. Bei einer Vielzahl von Unternehmensanleihen guter Bonität lassen sich wieder Renditen von gut 3 % und mehr kassieren. Dieser Anstieg der Renditen bescherte Renteninvestoren herbe Bewertungsverluste und gab all denen Recht, die bei Investments in festverzinslichen Wertpapieren von „zinslosen Risiken“ sprachen. Ihrer klassischen Funktion als Risikopuffer bei Mischfonds oder vielen „ausgewogenen“ Anlagestrategien konnten Rentenanlagen in Zeiten des Überfalls Russlands auf die Ukraine damit in keiner Weise gerecht werden. Denn der Krieg in der Ukraine hat die eh schon hohen Rohstoffpreise noch einmal deutlich ansteigen lassen und die globalen Probleme in den industriellen Lieferketten verschärft. Hoffnungen auf ein allmähliches Abflauen der hohen Geldentwertung wurden damit zunichte gemacht.

Also weiter „Finger weg“ von Festverzinslichen?

Auf den ersten Blick lautet die Antwort eher „ja“, denn bei einer Geldentwertung von über 7 % ist eine Rendite von etwa 3 % nicht gerade attraktiv. Doch immerhin kommt man damit in etwa wieder an die Dividendenrendite von Aktienanlagen heran. Von entscheidender Bedeutung ist die Frage, auf welches Niveau die Zinsen in der Eurozone in steigen sollten, beziehungsweise welches Zinsniveau die Zentralbank für verkraftbar für die Vielzahl hochverschuldeter Eurostaaten hält. Eine Frage, die derzeit nur sehr schwer zu beantworten ist. Denn das Gespenst der Stagflation -einer Phase hoher Inflation und schwacher wirtschaftlicher Entwicklung – greift aktuell mehr und mehr um sich. Galoppierende Energiepreise, deutlich steigende Nahrungsmittelpreise und zunehmende Probleme in den globalen Lieferketten belasten Konjunktur und Verbraucher. Reihenweise werden derzeit Konjunkturprognosen gekappt und Rezessionsängste kehren zurück. Ein zu starker Zinserhöhungszyklus würde der Konjunktur, die sich gerade noch vom Coronaschock erholt sicher den Garaus machen. Auf der anderen Seite gilt es, Zweitrundeneffekten bei der Inflation nachhaltig zu begegnen, um das Ziel der Geldwertstabilität nicht komplett aus dem Blick zu verlieren.

Unter der Prämisse, dass sich der furchtbare Krieg in der Ukraine und die Sanktionen insbesondere im Energiebereich nicht weiter verschärfen, besteht Grund für zaghaften Optimismus für die weitere Inflationsentwicklung. Der Anstieg der Energiepreise wird sich sicher nicht im bisherigen Tempo fortsetzen, denn die weltweiten Fördermengen für Öl oder Kohle sind trotz des Krieges im Wesentlichen unverändert. Das Öl, welches Russland aufgrund der Sanktionen nicht mehr im Westen verkaufen kann, wird andere Abnehmer wie Indien und China finden. Das globale Preisniveau wird sich in den nächsten Monaten daher wahrscheinlich etwas beruhigen. Anders sieht die Sache beim russischen Gas aus, das auf Pipelines zu den Abnehmerländern angewiesen ist. Doch bisher fließt das Gas aus Russland bekanntlich noch. Die enormen Preisanstiege sind hier wohl eher auf Spekulation und eine von Putin im Vorfeld des Krieges herbeigeführte Verknappung zurückzuführen.

Keine Entwarnung kann leider bei den Nahrungsmittelpreisen gegeben werden. Russland hat einen weitreichenden Exportstopp für Nahrungsmittel verhängt und die Ukraine wird als Lieferant leider weitgehend ausfallen. Auch viele andere industrielle Rohstoffe sind derzeit aufgrund des Krieges und der Sanktionen auf dem Weltmarkt knapp und damit teuer. Hinzu kommen die bekannten Probleme durch gestörte Lieferketten, die durch die chinesischen Lockdowns derzeit noch einmal stärker in den Blickpunkt rücken. Unklar ist derzeit, ob es zur gefürchteten „Lohn-Preis-Spirale“ kommen wird.

Das alles ist bekannt und in den aktuellen Inflationserwartungen und Zinsniveaus vom Markt bereits weitgehend eskomptiert. Sollte es nicht zu einer weiteren deutlichen Verschärfung der derzeitigen Probleme kommen, ist davon auszugehen, dass die Inflation ihren Höhepunkt in etwa auf dem aktuellen Niveau markieren wird.

Die europäische Zentralbank wird sich dem Trend zur Anpassung ihrer Leitzinssätze nicht dauerhaft entziehen können und im 2. Halbjahr erste marginale Schritte hin zu einer Abkehr ihrer Nullzinspolitik gehen. Doch in Anbetracht der vielen Probleme in punkto Konjunktur und hoher Staatsverschuldung wird die EZB keine deutliche Straffung ihrer Zinspolitik vornehmen können.

Ob mit einem aktuellen Zinsniveau von knapp 1 % für Bundesanleihen mit 10-jähriger Laufzeit schon das Ende der Anpassung bereits erreicht ist, bleibt abzuwarten. Es scheint aber sehr wahrscheinlich, dass wir den Großteil dieser Anpassung an die neuen Realitäten hinter uns haben. Dafür spricht auch die Tatsache, dass die Zinsstrukturkurve in den USA, die im Zinszyklus schon deutlich weiter sind, zunehmend flacher wird.

Daher werden festverzinsliche Wertpapiere trotz ihrer immer noch eher mageren Verzinsung langsam wieder interessant, da sie ihre „Pufferfunktion“ in gemischten Portfolios zunehmend wieder wahrnehmen können. Es heißt als nicht mehr „Finger weg“ von Rentenanlagen. Eine Beimischung von ausgewählten Rentenpapieren ist im Portfoliokontext durchaus sinnvoll.