Schwellenländer-Anleihen galten lange Zeit als letzte Alternative für Investoren auf Renditesuche. Am Beispiel Türkei wird jetzt deutlich sichtbar, wo die Gefahren liegen.
Ein Spaziergang über die Edertalsperre ist derzeit eine spannende Sache. Wer von dort oben hinabsieht auf das, was einmal ein Stausee war, erkennt jetzt die Grundmauern des lange Zeit überfluteten Dorfes im Tal. Man kann sogar über die versiegelten Betonplatten des ehemaligen Friedhofs wandern. So ist das eben, wenn der Wasserpegel sinkt, der Regen ausbleibt und keine neue Flut nachkommt. Man sieht plötzlich alles, was lange Zeit unter Wasser im Verborgenen blieb. Die Trockenheit legt es offen.
Es ist ein gutes Sinnbild dafür, was gerade in der Türkei passiert und mittelfristig dem Bondmarkt in den Schwellenländern droht. Die Auslandsinvestitionen in die Türkei sind rückläufig, die Türkische Lira verliert dramatisch an Wert, die ohnehin hohe Auslandsverschuldung gewinnt damit zusätzlich an Brisanz, denn Unternehmen, Staat und Privatleute sind in hohem Maße in US-Dollar und Euro verschuldet. Es ist ein Teufelskreis: Durch die Krise reduziert sich der Geldfluss in die Türkei und kehrt sich um: Wer noch Lira übrig hat, flieht, so lange es noch geht, in andere Währungen. Die Flucht vor dem Währungsverfall und der rasant ansteigenden Inflation ist bereits in vollem Gange. Um im Bild zu bleiben: Wenn der Regen ausbleibt und der Pegel sinkt, sieht man plötzlich den Friedhof am Grund des Sees.
Wer meint, die Türkei sei ein ganz besonderer Einzelfall, irrt. Unbestritten gewinnt Präsident Erdogan durch seine Willkür und wirtschaftliche Inkompetenz nicht gerade das Vertrauen ausländischer Anleger, deren Investitionen das Land jetzt dringend nötig hätte. Erdogans Politik wirkt tatsächlich wie ein Brandbeschleuniger. Doch das Feuer hat er nicht gelegt.
Das Problem liegt tiefer: Durch die kontinuierliche Anhebung der Leitzinsen in den USA über die vergangenen Quartale hinweg haben sich die Geldströme allmählich umgekehrt. Für US-Staatsanleihen mit zweijähriger Laufzeit bekommen Anleger mittlerweile 2,6 Prozent Rendite. Gleichzeitig gewinnt der US-Dollar seit einiger Zeit an Stärke gegenüber anderen Währungen. Das Szenario wird gestützt durch eine starke US-Wirtschaft mit vier Prozent Wachstumsrate, einem robusten Arbeitsmarkt und einem allmählich eskalierenden weltweiten Handelskrieg, bei dem die USA als größter Konsument ausländischer Waren am wenigsten zu verlieren haben. Die Stärke des US-Dollar ist also kein Strohfeuer. Die Folge: US-Investoren streben mit ihrem Geld nicht in ausländische, womöglich sogar exotische Bond-Märkte, sondern holen ihr Geld in die Heimat zurück. Auch Euro-Investoren, die mit Anleihen in ausländischen Währungen ihr Portfolio diversifizieren wollen, legen ihr Geld derzeit lieber in US-Dollar- als in Schwellenländer-Anleihen an. Kein Wunder: Wer in brasilianische Euro-Anleihen investiert darf unterm Strich ein Prozent an Rendite erwarten, mexikanische Euro-Anleihen tendieren gegen null Prozent, Euro-Bonds in südafrikanischen Rand werfen gerade einmal drei Prozent ab. Dagegen wirken 2,6 Prozent Rendite in starken US-Dollar äußerst anziehend auf international anlegende Investoren. Was wiederum den Dollar stärkt. Es ist eben nichts erfolgreicher als der Erfolg.
In solch einem Szenario, in dem die Leitwährung US-Dollar stark und die Renditen in Dollar attraktiv sind, trocknen die Geldflüsse in diejenigen Schwellenländer am ehesten aus, in denen Investoren die größten Risiken sehen. Venezuela und die Türkei sind gute Beispiele dafür. Andere Länder werden folgen. Darüber sollte man sich keine Illusionen machen.
Allerdings sollte man auch nicht alle Schwellenländer weltweit über einen Kamm scheren. Lateinamerika beispielsweise ist ein insgesamt eher schwieriger Markt, Chile jedoch eine der positiven Ausnahmen. In Asien haben etliche Länder aus der Asienkrise vor 20 Jahren gelernt und ihre Hausaufgaben gemacht. Malaysia etwa hat es innerhalb kurzer Zeit geschafft, sich von einer landwirtschaftlich bestimmten Volkswirtschaft in ein Industrieland zu verwandeln. Selbst in Afrika finden sich positive Beispiele für gute Wirtschaftspolitik, etwa in Ruanda.
Konkret bedeutet das: Die Zeiten, in denen Investoren blind darauf vertrauen konnten, dass Emerging Market-Bonds bei überschaubarem Risiko bessere Renditen liefern als die Investition in Anleihen aus den USA oder dem Euroraum, sind zwar vorbei. Es gibt sie aber eben noch, die unter Risiko-Rendite-Gesichtspunkten attraktiven Anleihemärkte in den Schwellenländern. Mit viel Expertise und Erfahrung lassen sich dort noch Schätze heben. Dafür steht das Wasser auch noch hoch genug.